Die Geschichte des Wochenbetts
“Die Frauen von heute sind so empfindlich! Früher haben wir das Wochenbett auch nicht gebraucht und sind sofort wieder arbeiten gegangen!”
Nö. Stimmt nicht. Und ich finde, das ist ein so wichtiges Thema, dass ich meinen erst zweiten Blogartikel zu diesem Thema schreiben will. Hier also eine kurze Geschichte des Wochenbetts:
Das Wochenbett in der Antike
Schon im römischen Reich galten Frauen, die gerade geboren hatten, als “puerperae”, Wöchnerin, und durften sich abgeschieden von der Gemeinschaft, erholen und sich um ihr Baby kümmern. Gleichzeitig galt eine Frau in dieser Zeit, wie so häufig, als unrein aufgrund des Blutverlustes bei der Geburt und im Wochenbett, und man glaubte, das dieses Blut spirituelle Verunreinigungen mit sich brächte. Sie musste sich nach dem Wochenbett einem Reinigungsritual unterziehen, um wieder ein “vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden” – ein patriarchales Instrument der Entmündigung und Kontrolle über den weiblichen Körper.
Na ja, gut – die Römer waren halt nicht für ihr positives Frauenbild bekannt und immerhin konnte die Frau sich, gepflegt von weiblichen Familienangehören oder Dienerinnen, erholen.
Auch Hippocrates (ca. 5. Jhd vor Christus), der als Vater der Medizin gilt, behandelte in seinem zentralen Werk “Corpus Hippocraticum” das Wochenbett, das auch Rezepte für heilende Tränke und Salben für das Wochenbett enthielt. So sollten die Wöchnerinnen Honigwasser zur Stärkung der Verdauung und für ihren Energiehaushalt trinken, eine Salbe aus Myrrhe, Bienenwachs und Olivenöl sollte Geburtsverletzungen heilen und Entzündungen vorbeugen, und erhitzter Wein mit Fenchelsamen und Anis sollte die Gebärmutter entkrampfen und den Wochenfluss/ die Lochien unterstützen.
Spannend finde ich ja immer den Bezug zu aktuellem phytotherapeutischen Wissen:
Myrrhe enthält beispielsweise verschiedene bioaktive Substanzen, wie:
- Sesquiterpene in ihren ätherischen Ölen, die antiseptisch und entzündungshemmend wirken
- Harze, die adstringierend, also zusammenziehend wirken und demnach Blutungen stoppen und Wundränder zusammenziehen
- Flavonoide, die entzündungshemmend sind
Auch Bienenwachs hat eine antiseptische Wirkung und Olivenöl ist feuchtigkeitsspendend und entzündungshemmend. Olivenöl wirkt außerdem durchblutungsfördernd aufgrund der enthaltenen Prostaglandine und stimuliert so den Heilungsprozess. Außerdem enthält es enthält Polyphenole und Vitamin E, die die Kollagenbildung (ein wichtiges Protein, dass unsere Haut straff und elastisch macht) anregt.
Auch Wein hat eine durchblutungsfördernde und muskelentspannende Wirkung, beruhigt also die glatte Gebärmuttermuskulatur.
Fenchel und Anis wirken ebenfalls krampflösend (man denke an den Kinder-Bäuchlein-Tee).
Galen, ein römischer Arzt, der etwa von 129 bis 216 lebte und zahlreiche Werke zu Anatomie, Physiologie, Pharmakologie und Diätetik verfasste, betonte die Wichtigkeit von leicht verdaulicher Nahrung für Wöchnerinnen – auch heute ein aktuelles Thema, denn das Liegen im Wochenbett kann durchaus für eine träge Verdauung sorgen – Pressen beim Stuhlgang ist für Wöchnerinnen aber eher unangenehm, weil eventuell bestehende Hämorrhoiden schmerzen können und der Beckenboden noch geschwächt ist.
Auch in den germanischen Stämmen waren Geburt und Wochenbett von den Frauen des Clans begleitet und die Wöchnerin wurde für eine gewisse Zeit von allen anderen Pflichten entbunden. Geburt und Menstruation galten jedoch als natürliche und heilige Teile des Lebenszyklus. Frauen und ihre Neugeborenen wurden von der Gemeinschaft, insbesonderen den weiblichen Clanmitgliedern, geschützt und umsorgt.
Schutzrituale, Amulette und Symbole sollten Wöchnerin und Baby vor bösen Geistern schützen und ihre Gesundheit wahren und Genesung fördern. Beim “Einbrodeln”, dass auch noch im 19. Und 20. Jahrhundert durchgeführt wurde, aber seine Wurzeln in germanischen oder keltischen Riten hat, wurden Steine und Ziegel im Feuer erhitzt und in die Nähe des Bettes der Wöchnerin gebracht. Kräuter wie Beifuß, Wacholder und Thymian wurden verbrannt. Die Hitze und der Rauch galten als schützend.
Hier möchte ich auch wieder die Brücke zu aktuellem medizinischen Wissen schlagen:
Hier haben die Germanen verstanden, dass Wärme die Durchblutung fördert und entkrampfend wirkt, mit den oben bereits beschriebenen positiven Auswirkungen auf die Wundheilung und die Gebärmutter. Behagliche Wärme hat natürlich auch eine psychische, beruhigende Wirkung und kann Stress reduzieren, während Kälte infektanfällig machen könnte.
Die freigesetzten ätherischen Öle im Beifuß wirken antimikrobiell, das im Beifuß enthaltene Linalool wirkt inhibitorisch auf das zentrale Nervensystem – es beruhigt also schlicht und einfach. Wacholder und Thymian wirken ebenfalls antimikrobiell – können also wirklich die Luft reinigen und vor Infektionen schützen.
Neben dem Einbrodeln schützte die Wöchnerin sich und ihr Baby mit Amuletten von Mjölnir, Thors Hammer sowie einigen weiteren Symbolen, die im Dritten Reich vielfach verwendet wurden und dementsprechend heute teilweise verboten sind. Auch die Göttin Freya bot Schutz für Wöchnerin und Neugeborenem.
Das Wochenbett im Mittelalter
Im frühen und Hochmittelalter von etwa 500 bis 1250 BC sorgte das christliche Weltbild für eine Umbewertung der Wöchnerin – statt als Spenderin des Lebens und besonderen Schutz und Fürsorge wert, wurde die Wöchnerin nun wieder “unrein” und durfte erst nach der Kirchenweihe, etwa 40 Tage nach der Geburt, das Wochenbett verlassen. Bis dahin war es üblich, dass die Wöchnerin im Bett blieb. Nachbarinnen, Verwandte, Freundinnen brachten Essen und halfen im Haushalt. Diese 40 Tage basieren auf dem biblischen Vorbild der Maria, die 40 Tage nach der Geburt von Jesus den Tempel besuchte. Bei der Kirchenweihe oder Muttersegen wurden Segensgebete für die Frau gesprochen und diese legte eine Opfergabe ab.
Etwa zum gleichen Zeitpunkt feierte man mit dem Kindelwiegen die symbolische Aufnahme des Kindes in die Gemeinschaft. Wiegengedichte, die hierbei vorgetragen wurden, enthielten magische Schutzelemente und das gesamte Ritual war durchdrungen von einer Mischung aus christlichen und germanischen Elementen. Hühnerfüße wurden dem Neugeborenen um den Hals gehängt, um es vor dem “Bösen Blick” zu schützen.
Die Kirche überwachte das Einhalten der Körperregeln, also dass die Frau im Wochenbett bleiben und körperlich untätig sein sollte und erst an der Kirchenweihe teilnahm, bevor sie wieder am sozialen Leben teilnahm, streng. Nichtbeachtung wurde sanktioniert.
Auch in dieser Zeit galt Kälte als gefährlich für die frischgebackene Mutter und Bett und Raum wurden gut geheizt. Kreuz-Amulette, Reliquien, Pentagramme, Mond- und Sternensymbole als Zeichen für den Zyklus des Lebens und Heiligenbildchen der Heiligen Anna (Schutzpatronin der Mütter und Großmütter, da sie als Mutter der Jungfrau Maria verehrt wurde) und der Heiligen Margaretha als Schutzpatronin der Gebärenden schützten Mutter und Kind vor bösen Geistern.
Frauenmantel, Schafgarbe und Salbei wurden von Hebammen und Heilerinnen benutzt, um die Genesung im Wochenbett zu fördern.
Hier wieder der phytotherapeutische Hintergrund:
Frauenmantel mit seinen Gerbstoffen wirkt adstringierend, also zusammenziehend, und unterstützt damit die Wundheilung, seine Flavonoide wirken entzündungshemmend und er enthält Phytosterine, die bei der Hormonregulation helfen. Frauenmantel wurde oft als Tee getrunken oder als Sitzbad bei Geburtsverletzungen angewendet.
Schafgarbe enthält ebenfalls Gerbstoffe und Flavonoide und wurde als Tee oder Sitzbad angewendet.
Salbei wirkt antimikrobiell und entzündungshemmend.
Außerdem gibt es Hinweise auf Beckenbodenübungen, die Frauen im Mittelalter zur Rückbildung empfohlen wurden. Dabei sollten die Frauen die Beckenbodenmuskulatur bewusst anspannen und entspannen, aber auch Haltungsübungen und Atemübungen wurden schon verwendet und bildeten eine gute Rückbildungsgrundlage.
Spezielles Wöchnerinnenbier (servus nach Bayern) war besonders nahrhaft und wurde zur Stärkung der Mutter verwendet, auch Hühner- und Brotsuppe waren traditionelle Wochenbett-Gerichte für Kraft und Genesung – die Hühnerbrühe ist ja heute noch ein klassisches Gericht für das Wochenbett.
Da die männliche dominierte Medizin “Frauenthemen” oft vernachlässigte oder als unrein ansah, nahmen sich Ärztinnen oft dieser Themen an. Trota von Salerno beispielsweise ist eine bemerkenswerte Medizinerin des Hochmittelalters und eine der bedeutendsten weiblichen Figuren in der mittelalterlichen Medizin. Sie war im 11. Oder 12. Jahrhundert an der medizinischen Hochschule von Salerno in Süditalien tätig war und behandelte in ihrem Trotula-Traktat Frauenkrankheiten, Geburtshilfe und Wochenbett abdeckte und Beckenbodenübungen, Kräutertees und hygienische Maßnahmen empfahl. In diesem Traktat finden sich auch Abschnitte zu Kinderkrankheiten wie Masern, Keuchhusten oder das Zahnen.
Ich finde es ja immer wieder wohltuend, zu lesen, dass doch schon so früh Frauen an bestimmten medizinischen Hochschulen zugelassen waren. Interessant noch zu Trota: Wie häufig in der Frauengeschichte wurden ihre Texte zunächste Männern zugeschrieben, und auch umfassende biographische Details wurden für historische Frauenfiguren oft nicht festgehalten. Daher ist es durchaus möglich, dass hier mehrere Frauen unter dem Namen “Trota von Salerno” tätig waren.
Im Mittelalter trat das Kindbettfieber, eine Blutvergiftung nach der Geburt, sehr häufig auf. Grund dafür waren sinkende Hygienestandards mit mangelndem Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Gleichzeitig waren Bakterien und Keime als Krankheitsverursacher noch unbekannt – Ärzte und Hebammen wuschen sich nicht die Hände und Instrumente. Die vermehrt gegründeten Hospitäler waren überfüllt und begünstigten eine Übertragung von Infektionen weiter. Antibiotika waren noch unbekannt, und Umschläge und Kräutertees sind bei einer Sepsis wirkungslos, dies führte zu hohen Sterberaten, die uns heute noch den Vorgang der Geburt als gefährlicher erscheinen lassen, als er ist.
Im Spätmittelalter verstärkte sich der Aspekt der “Unreinheit” der Frau nach der Geburt, die Hexenverfolgung nahm an Fahrt auf und betraf vor allem Hebammen (siehe in meinem Blogartikel zur Geschichte der liegenden Geburtsposition). Gleichzeitig profitierten die Frauen vom streng überwachten Wochenbett, indem sie von allen Pflichten entbunden wurden und im Bett liegen bleiben sollten.
Schriftliche Ratgebertexte wurden gedruckt und verbanden medizinische mit religiösen Ratschlägen, oft von männlichen Gelehrten geschrieben, die das Hebammenwissen standardisierten, formalisierten oder lächerlich machten.
Das Wochenbett in Neuzeit und Renaissance (14. bis 17. Jahrhundert)
Die männlich und chirurgisch geprägte Geburtshilfe entwickelte sich weiter und drängte die dämonisierten Hebammen in ihrer Bedeutung zurück (siehe mein Blogartikel zu liegenden Geburtsposition).
Der Kaiserschnitt wurde zunehmend praktiziert, mit meist tödlichen Folgen für die Mutter aufgrund der Wundinfektionsgefahr.
Gleichzeitig begann die Aufklärung und Säkularisierung – Wissenschaft und Vernunft begannen, Magie und Aberglauben in ihrer Bedeutung zurückzudrängen und der aufstrebende Humanismus führte zu einer größeren Wertschätzung der Mutter im Wochenbett.
Das Wochenbett in der Industrialisierung und frühen Moderne (18. und 19. Jahrhundert)
Das Verbot von körperlicher Tätigkeit aufgrund von Unreinheit wurde mehr und mehr zu einem Verbot von Arbeit im Wochenbett zur Schonung und erste Ansätze zu gesetzlichem Mutterschutz entwickelten sich, denn die Industrialisierung führte zu einer massenhaften Wanderung der Arbeitskräfte in die Städte. Frauen, die vorher in der Landwirtschaft tätig waren, mussten nun unter noch größerer körperlicher Anstrengung in der Industrie arbeiten – Schwangere und Wöchnerinnen waren besonders belastet, die körperliche Belastung in Verbindung mit schlechter Ernährung und fehlender medizinischer Versorgung sorgte für Komplikationen. Die Gesetze zum Mutterschutz waren ein guter Start, jedoch nur rudimentär in Ansätzen vorhanden:
- Das Fabrikgesetz von 1844 in England legte fest, dass eine Frau nach der Geburt für mindestens 4 Wochen nicht arbeiten durfte
- Das Reglement für die weiblichen Arbeiter von 1878 war ein wichtiger Schritt hin zum Mutterschutz, auch wenn dieser noch nicht flächendeckend umgesetzt wurde und es viele Schlupflöcher gab
Ignaz Semmelweis entdeckte, dass die Ursache des Kindbettfiebers in den von Ärzten und Medizinstudenten betreuten Hospitälern in den verunreinigten Händen und Instrumenten der Mediziner lag, die nach Autopsien an Leichen das “Leichengift” zu den Gebärenden trugen. Da die Hebammen keine Autopsien durchführten, waren die von ihnen betreuten Geburtseinrichtungen nicht so starkt davon betroffen. Nachdem Semmelweis die Händedesinfektion vor Betreten des Kreißsaals anordnete, sank die Sterblichkeit in seinem Krankenhaus von 18% auf unter 2%. Die medizinische Gemeinschaft weigerte sich jedoch, trotz dieser Erfolge, ihre eigene Verantwortung hier zu erkennen. Seine Kollegen waren nicht bereit, zu akzeptieren, dass sie selbst den Frauen den Tod brachten. Erst der britische Chirurg Lister baute auf Semmelweis Arbeit auf und entwickelte umfassende antiseptische Methoden in der Chirurgie.
Spezialisierte Krankenhäuser für Geburten umfassten nun auch die Betreuung im Wochenbett und medikalisierten Geburt und Wochenbett weiterhin, der Kaiserschnitt wurde sicherer, die Geburtshilfe wurde zu einer modernen Wissenschaft.
Gleichzeitig stand im Zuge der Urbanisierung Frauen in städtischen Gebieten kein Unterstützungs-Netzwerk mehr zur Verfügung, auf dass sie sich in der Wochenbettzeit stützen konnten.
Trotz der aufkommenden Schutzgesetze für Frauen war aufgrund des fehlenden Unterstützungs-Netzwerks und der besseren medizinischen Versorgung “Geburt ist jetzt kein Problem mehr” der Druck auf die Frauen nun groß, kurz nach der Geburt wieder als Arbeiterin in der Fabrik und für die Familie zur Verfügung zu stehen. Dies führte auch zum Entstehen der ersten Kindertagesstätten, um der Frau neben der Familienarbeit auch die Fabrikarbeit zu ermöglichen.
Diese Geschichte zeigt: Die Idee der Frau, die einige Tage nach der Geburt wieder aufsteht und arbeiten soll, ist relativ kurz und ein trauriger Nebeneffekt der Industrialisierung und Urbanisierung. Diese Darstellung wird aber natürlich von unserer Müttergeneration, die es leider nicht besser gelernt hat, an uns weitergegeben. Im Laufe mindestens der letzten 2000 Jahre war es eher die Regel, dass die Frau für mehrere Wochen im Bett bleiben konnte oder sogar sollte und währenddessen von weiblichen Verwandten versorgt wurde.
Du hast jetzt also viel Diskussionsstoff, wenn dich jemand anspricht, warum du denn um Himmels Willen so lange Wochenbett halten willst, das hätten die “Frauen früher ja auch nicht gebraucht”.
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Love & freedom
Alex