Warum du die Rückenlage bei der Geburt vermeiden solltest
Eine Position für das geburtsbegleitende Personal, aber nicht für dich und dein Baby
Vor einigen Jahren, als ich gerade anfing, HypnoBirthing-Kurse zu geben, stolperte ich zufällig über das Thema, wie ungünstig die Rückenlage (Steinschnittlage im Fachjargon) unter der Geburt für Mutter und Baby ist – und das, obwohl 75% der Klinikgeburten in genau dieser Lage stattfinden.
In jedem meiner Kurse sind die Paare überrascht über diesen Fakt und das Wissen, warum die Rückenlage einem sanften, natürlichen Geburtsverlauf entgegenwirken kann, hilft ihnen dabei, diese Geburtsposition zu vermeiden, sofern das medizinisch sinnvoll ist.
Für das geburtsbegleitende Personal ist die Rückenlage sehr praktisch, da sie leichten Zugriff und gute Überwachungsmöglichkeiten bietet, wenn das “Werkstück auf Arbeitshöhe” liegt. Diese Formulierung ist nicht respektlos gemeint, statt dessen denke ich dabei immer an einen meiner ersten, super sympathischen und leider schwerkranken Patienten zurück, dem ich als Famulantin im Krankenhaus täglich Blut abnahm. Hier ganz kurz seine Geschichte: Die medizinische Fachangestellte, die mir das Blutabnehmen beibrachte, legte großen Wert darauf, rückenschonend zu arbeiten und das Patientenbett entsprechend hoch zu fahren. Wenn ich morgens dann zur Blutabnahme zu diesem sympathischen Herrn kam, der trotz mehrer bösartiger Tumore in Darm und Blase so lebensfroh war, scherzte er oft mit mir: “Ja, klar, das Werkstück muss auf Arbeitshöhe.” Er war vor seiner Erkrankung im Eventaufbau und konnte diese Routine gut nachvollziehen. Es sind diese Begegnungen, die mir in Erinnerung sind, wenn ich vom “Werkstück auf Arbeitshöhe” spreche.
Die Rückenlage: Ergebnis der Hexenverfolgung von Hebammen und der aufsteigenden männlich geprägten Chirurgie
Die Rückenlage bei der Geburt, die uns täglich in Filmen und Serien begegnet, ist historisch gesehen eine relativ neue Entwicklung. Aber sie ist so präsent, dass Frauen, die sich nicht gründlich auf ihre Geburt vorbereiten, diesen wichtigen Aspekt der Geburt oft nicht kennen und sich nach Ankunft in der Klinik bereitwillig in das nächste Patientenbett legen. Wenn sie Glück haben, werden sie von einer engagierten Hebamme betreut, die sie zu einer anderen Geburtsposition ermuntert.
Historische Aufzeichnungen zeigen, dass Geburten früher im Stehen oder in der Hocke erfolgten. Schon von Buddhas Mutter, etwa vor 2600 Jahren, wird berichtet, wie sie ihren Sohn aufrecht stehend gebar, während sie sich an einem Ast in einem Park festhielt. Auch Kleopatra wird in einem Relief im Tempel von Esneh in der Hocke gebärend gezeigt. In Europa zeigen Darstellungen gebärende Frauen ebenfalls in einer aufrechten Geburtsposition dar, etwa auf einem Geburtshocker.
Erst ab dem 17. Jahrhundert wurden Frauen mehr und mehr in die liegende, passive Geburtsposition gedrängt. Noch bis zur Renaissance zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert genoss die Chirurgie keinen guten Ruf, sie wurde als Handwerk betrachtet und chirurgische Eingriffe wie Zahnextraktionen, kleinere Amputationen, aber auch Aderlässe, Wundbehandlungen und Haarschnitte wurden von herumziehenden Baderchirurgen ausgeübt. Sie beeilten sich, schnell ins nächste Dorf zu ziehen, bevor ihre oft wirkungslosen oder gar schädlichen Methoden auffielen.
Mit der Renaissance begann sich die Autorität der Kirche über weltliche Belange langsam aufzulösen. Die Zeit des Humanismus, in der das menschliche Leben und Erleben wieder in den Mittelpunkt rückte, erwachte zum leben. Wissenschaft und Forschung durften sich entfalten. Detaillierte anatomische Studien wie “De humani corporis fabrica” von Andreas Vesalius wurden möglich – ein Vorhaben, das im Mittelalter aufgrund der Auffassung, körperliche Eingriffe seien unrein, undenkbar gewesen wäre. Diese wissenschaftlichen Fortschritte prägten eine Chirurgie und Medizin, die zunehmend experimenteller und leider auch überwiegend männlich dominiert wurde.
Aufstrebende Chirurgen, wie der französische François Mauriceau, sahen in der Schwangerschaft und Geburt eher Krankheiten als natürliche Vorgänge. Mauriceau empfahl die Rückenlage für Geburten, da sie unter anderem optimale Bedingungen für Dammschnitte (Episiotomien) bot, die paradoxerweise in dieser Position häufiger notwendig wurden – ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Problem künstlich geschaffen und gleichzeitig dafür eine Lösung präsentiert wurde.
Gleichzeitig war die Renaissance aber auch die Blütezeit der Hexenverfolgungen in Europa, mit einem Höhepunkt um das Jahr 1600 herum. Der “Hexenhammer” (”Malleus Maleficarum”) von 1487, verfasst von Heinrich Kramer, spielte eine wichtige Rolle bei der Legitimierung und Durchführung der Hexenjagden. Insbesondere Hebammen wurden darin als Werkzeuge des Teufels dargestellt, denen man die Verursachung von Todgeburten, Fehlbildungen und Säuglingssterblichkeit in die Schuhe zuschrieb. Sie seien, schrieb Heinrich Kramer, die größte Gefahr für die katholische Religion. Infolgedessen erlitten Hebammen einen erheblichen Verlust an Ansehen und Autorität in der Gesellschaft, während die männlich dominierte Chirurgie an Bedeutung zunahm.
Es gab allerdings noch einen weiteren Einflussfaktor auf die Zunahme der liegenden Geburtsposition: König Ludwig XIV., der Sonnenkönig, der 1643 im Alter von 4 Jahren den Thron bestieg und für 72 Jahre bis zu seinem Tod regierte, machte die Anwesenheit bei den Geburten seiner Mätressen zur Staatsangelegenheit. Dies war allerdings nicht unüblich für die damalige Zeit, also vermutlich weniger das Resultat eines Fetischs, als vielmehr ein Ausdruck seiner politischen und sozialen Strategien, seinen unehelichen Kindern einen hohen Status am Hof zu sichern. Historiker sind sich noch uneinig, ob Ludwig XIV. spezielle Geburtsliegen für seine Mätressen anfertigen ließ, doch seine Vorliebe für “klare Sicht” auf die Geburtsvorgang könnte eine liegende Geburtsposition am französischen Hof begünstigt haben. Als Monarch und Trendsetter seiner Zeit trug Ludwig XIV. Damit wahrscheinlich auch zu einer breiteren Akzeptanz dieser Geburtsposition bei.
Die Nachteile der Rückenlage bei der Geburt
Aber warum gilt die Rückenlage als ungünstigste Geburtsposition für dich und dein Baby – mal abgesehen vielleicht vom Kopfstand?
1.) Vena-Cava-Kompressionssyndrom
In der Rückenlage drücken dein etwa 3,5kg schweres Baby, etwa 500g Plazenta, 1l Fruchtwasser und eine 1kg schwere Gebärmutter auf deine untere Hohlvene oder untere Vena Cava, die Blut aus deinen Beinen und Bauchraum zurück zu deinem Herzen transportiert. Dieser Rückfluss kann dadurch behindert werden, was zu einem Abfall deines Blutdrucks sowie Schwindel und Übelkeit und verminderten Sauerstoff-Versorgung deines Babies führen kann. Wenn du Schwangerschaftsyoga machst, wirst du bemerkt haben, dass deine Yogalehrerin vermeidet, dich, gerade im letzten Trimester in der Schwangerschaft, in Rückenlagen zu bringen.
2.) Verminderte Beweglichkeit von Steißbein und Kreuzbein und weniger Platz im Becken
Unser Körper ist schlau. Grundsätzlich ist das Steißbein bei Frauen viel weniger nach vorne, Richtung Bauch gekrümmt, als beim Mann. So ist es dem Baby bei der Geburt nicht im Weg. Wenn du jetzt in der Rückenlage bist, hast du dein Steißbein und Kreuzbein fixiert, sie sind nicht mehr so beweglich wie beispielsweise im Vierfüßlerstand. Somit machst du des deinem Baby schwerer, sich durch dein Becken zu manövrieren.
Tatsächlich kann der Durchmesser deines Beckens damit um etwa 2cm kleiner werden!
Gleichzeitig verbringt deine Körper hormonelle Höchstleistungen, etwa durch das Hormon Relaxin, das du in der Schwangerschaft bildest, und das dir mehr Beweglichkeit in der Symphyse, der Verbindung deiner Beckenknochen vorne, verschaffen soll. Hier vollbringt unser Körper Millimeterarbeit, um unserem Baby den Durchgang zu ermöglichen, was durch die liegende Geburtsposition wieder zunichte gemacht wird.
3.) Weniger Stimulation zur Muttermundöffnung
Bei einer aufrechten Geburtsposition drücken die Geburtswellen das Köpfchen des Babys bzw. die Fruchtblase gegen den Muttermund. Durch diese mechanische Stimulation werden Stretchrezeptoren aktiviert, die wichtige Signalmoleküle für die Geburt, wie Prostaglandine ausschütten, die wiederum einen wichtigen Einfluss auf die Geburtswellen haben. Dieser Impuls fehlt im Liegen.
4.) Arbeit gegen die Schwerkraft und mehr Schmerzen
Außerdem musst du nun dein Baby gegen die Schwerkraft über dein Steißbein nach oben hin rauspressen – denn dir fehlen nun alle Vorteile einer aufrechten Geburtsposition, was dann durch Pressen kompensiert wird.
Da du nicht die Geburtsposition einnimmst, die du und dein Baby gerade benötigen, wirst du die Geburtswellen auch eher als schmerzhaft empfinden.
5.) Höhere Dammschnittrate
In der Rückenlage ist meistens die Flexibilität und Erweiterungsfähigkeit deines Beckenbodens eingeschränkt, dabei willst du dort doch maximale Flexibilität, um den Geburtsvorgang zu erleichtern. Demzufolge werden in der Rückenlage auch eher Dammschnitte gesetzt.
6.) Höhere Interventionsrate
Demzufolge sind die Unterstützung von Saugglocke oder Zange häufiger.
7.) Erlebter Kontrollverlust und negativeres Geburtserleben
Last, but not least: Die liegende Geburtsposition kann dein Geburtserleben negativ beeinflussen, da du dich in dieser Position eher passiv fühlst und einen Kontrollverlust erlebst. Das kann bei dir Stress auslösen, der eine sanfte Geburt zusätzlich behindern kann.
Bitte bedenke aber: Das ist kein Dogma! Lass dich immer von deiner Intuition leiten und probiere gerne auch mal die Vorschläge deiner Hebamme aus. Es kann durchaus sein, dass das Liegen auf der Seite oder sogar mal auf dem Rücken zu einem bestimmten Zeitpunkt gut und richtig für dich ist.
Love & freedom
Alex